Mo, 10.02.03:
1.FC Köln - ALEMANNIA 3:3 (1:0)
Bade - Sichone, Cichon, Happe - Kringe, Sinkala, Lottner, Voigt - Scherz, Kurth (86. Kioyo), Springer (92. Helbig)
(Pröll - Dworrak, Schröder, Nessou, Federico / Funkel)
Straub - Landgraf (57. Mbwando), Klitzpera, Lanzaat, Caspers - Grlic, Bayock (57. Krontiris), Pflipsen, van der Luer - Spizak (85. Zimmermann), Ivanovic
(Memmersheim - Bediako, Rosin, Lämmermann / Berger)

Zuschauer: 27500 (ca. 5000 aus Aachen)
Gelb: Springer, Sinkala
Rot: Cichon (75.; Notbremse) - Lanzaat (77.; Tätlichkeit)

1:0 Lottner (45+2.)
2:0 Lottner (52.)
3:0 Kringe (66.)
3:1 Krontiris (70.; Ivanovic)
3:2 Krontiris (83.; Ivanovic)
3:3 Krontiris (90.; Pflipsen, Grlic)







(Fotos: Thorsten/A-Team)















(Fotos: Thorsten/A-Team)











40 Jahre, nachdem die Alemannia mit Cölner Hilfe um die Bundesliga beschissen wurde, gab es endlich wieder Gelegenheit zur Revanche in der Hauptkampfbahn Müngersdorf, wo man seit 1968 nicht mehr gewinnen konnte. Zuletzt mussten 15000 Aachener eine 4:0-Pleite in der 2. Liga vor gut drei Jahren mit ansehen. Seitdem hat sich einiges getan in Cöln: die Spielvereinigung ist in die Bundesliga aufgestiegen und aufgrund einiger Probleme mit dem Toreschießen und dem Fußballspielen im allgemeinen wieder abgestiegen. Die Hauptkampfbahn Müngersdorf nennt sich mittlerweile RheinEnergie-Stadion und wird für die WM 2006 umgebaut. Neben der Südtribüne ist mittlerweile auch die neue Haupttribüne fertig. Beide Tribünen sind ungefähr doppelt so hoch wie die alten und vor allem näher am Spielfeld. Das ganze macht einen durchaus ansehnlichen Eindruck, wenn auch etwas groß geraten für einen Zweitligisten. Besonders positiv fiel die Nordtribüne auf, an derem Zustand man sich beim Bau der anderen Tribünen orientieren sollte. Leichte Probleme mit der Rechtschreibung offenbarten die Gastgeber beim Druck der Eintrittskarten, auf denen sowohl "Alemannia" als auch "Cöln" falsch geschrieben wurden.
Nur 5000 Aachener fanden dank Live-Übertragung und Montagstermin den Weg nach Cöln, sogar die Staus auf der A4 blieben größtenteils aus. Die meisten der 5000 quetschten sich in die Ecke der Osttribüne direkt neben der Baustelle. Obwohl hier auch nicht mehr Platz als auf dem Aachener Wall des Tivolis war, gab es bis jetzt noch keine Beschwerdebriefe in der Lokalpresse zu lesen. Vor dem Spiel musste man wie befürchtet einige schlechte Karnevalsmusik über sich ergehen lassen, als Krönung trug eine seltsame Kreuzung aus Wolfgang Niedecken und Toni Polster den missglückten Versuch einer Vereinshymne vor. Bei der Alemannia saß Neuzugang Emmanuel Krontiris auf der Bank, dessen Namen vor dem Spiel nur die wenigsten im Detail kannten. Die meisten landeten jedenfalls beim Versuch, den Namen zu nennen, früher oder später bei "Klitoris". Auf der linken Abwehrseite übernahm nicht wie in Freiburg Edwin Bediako, sondern erstmals Dirk Caspers den Part des verletzten Henri Heeren. Im Mittelfeld erhielt wiederum Thierry Bayock den Vorzug vor dem wiedergenesenen George Mbwando. Bei der Spielvereinigung stand nicht Markus Pröll im Tor, obwohl er im Pokalspiel in München nur acht Gegentore kassiert hatte - als die fusionierte Spielvereinigung die höchste Niederlage ihrer kurzen Vereinsgeschichte kassieren musste. 8:0 ist im übrigen auch das Rekord-Negativergebnis für die Alemannia - allerdings zu Zeiten, als es noch keinen "1.FC Cöln" gab. Den oft arroganten Cölner Fans, die Sülz für eine Topadresse im deutschen Fußball halten, war die Pleite jedenfalls zu gönnen.
Auch die Cölner Mannschaft zeigte sich verunsichert von der peinlichen Niederlage, begleitet von "8:0"-Gesängen aus dem Gästeblock. Die Alemannia übernahm das Kommando auf dem Rasen, vom Tabellenführer war wenig zu sehen. Mitte der ersten Halbzeit lautete das Eckballverhältnis 6:1 für die Alemannia, wähernd sich die Cölner bei ihren Angriffsbemühungen meistens im Abseits wiederfanden. Vor dem Tor war die Spielvereinigung aber durchaus ab und zu gefährlich; so musste sich Dirk Caspers nach gut zehn Minuten in höchster Not in einen Schuss von Florian Kringe werfen, ebenso wie wenige Minuten später Thierry Bayock. Ganz große Chancen für die Alemannia blieben trotz spielerischer Überlegenheit zunächst aus, bevor es kurz vor der Pause mehrmals zu besten Einschussmöglichkeiten kam. Nach herrlichem Lupfer von Eric van der Luer hatte Karlheinz Pflipsen als erster die Führung auf dem Fuß, schoss aber aus vollem Lauf über das Tor. Die Spielvereinigung enttäuschte ebenso wie ihre Fans, von denen lange Zeit wenig zu hören war - zumindest kam im Gästeblock nichts an. Immerhin hatte Florian Kringe noch eine gute Torgelegenheit, als ihm nach Fehler von Stephan Straub der Ball vor die Füße fiel, er aber nichts damit anzufangen wusste. Drei Minuten vor der Pause landete ein Eckball von Ivica Grlic bei Josef Ivanovic. Dessen Schuss köpfte Alexander Klitzpera am langen Pfosten über das Tor - Miroslaw Spizak hinter ihm wäre besser postiert gewesen. Eine Minute später rettete Stephan Straub bei einem Cölner Konter gegen Matthias Scherz. Es lief schon die Nachspielzeit, als Ivica Grlic von rechts eine flache Hereingabe in den Strafraum brachte und Josef Ivanovic am kurzen Pfosten in aussichtsreicher Position den Ball nicht richtig traf. Das hätte die Führung, zumindest aber die letzte Aktion der ersten Halbzeit sein müssen. Der Schiedsrichter dachte aber immer noch nicht daran, zur Pause zu pfeifen, und so fiel tatsächlich noch das 1:0 für die Gastgeber. Nach einer Flanke von Markus Kurth von der rechten Seite wirkte die Aachener Hintermannschaft unsortiert, Dirk Caspers verlängerte unglücklich mit dem Kopf, und Dirk Lottner trat in den Boden. Dabei hatte er Glück, dass der Ball trotz seines Fehltritts zum 1:0 im langen Eck landete. Im Gästeblock gab es nun lange Gesichter - 45 Minuten die bessere Mannschaft gewesen, mittlerweile 8:2 Ecken, kurz vorher selbst das 1:0 auf dem Fuß gehabt, und dann das.
Zu Beginn der zweiten Hälfte rollten die Cölner Kinder auf der Südtribüne erst einmal ein Spruchband aus, auf dem zu lesen war: "gegen Turnsportvereine". Offenbar hatte man den zweiten Teil des Spruchbandes ("für Fusionsvereine") vergessen. Bei der Alemannia wird man sich aber sicherlich trotzdem Gedanken machen. Gerüchteweise ist eine Fusion mit Rhenania Würselen mit anschließender Umbenennung in "1.FC Aachen" geplant. Die Spielvereinigung war mit der Führung im Rücken etwas stärker als vor der Pause - gute Schönwetterfußballer gab es in Cöln schon immer. So schien es sich zu rächen, dass die Alemannia aus der anfänglichen Verunsicherung der weinerlichen Pokalhelden trotz guter Einschussgelegenheiten kein Kapital schlagen konnte. In der 52. Minute köpfte Markus Kurth auf Dirk Lottner, der dem selig schlummernden Willi Landgraf enteilte. In der Mitte rutschte Dirk Caspers weg, so dass Matthias Scherz freistand und Stephan Straubs Aufmerksamkeit von Lottner gelenkt wurde. Der wusste das zu nutzen und hob den Ball über Straub zum 2:0 ins Netz. Mit Emmanuel Kronitiris kam nun ein dritter Angreifer, und die Alemannia versuchte alles. Die Gastgeber hatten aber nun Oberwasser, der einzige Cölner, der jetzt noch verunsichert war, war Ivica Grlic, der Matthias Scherz beinahe ohne Not das 3:0 aufgelegt hätte. Das fiel fünf Minuten später nach einem Freistoß von Dirk Lottner. Scherz ließ abtropfen für Kringe, der allzu frei im Strafraum stand und zum 3:0 unter die Latte traf. Nun hatten auch die Cölner Fans nach dem Motto "sing when you're winning" Oberwasser und stimmten "8:0" und "ihr könnt nach Hause fahren" an. Allerdings hatten sie mit altbekannter Überheblichkeit die Rechnung ohne die Moral der Alemannia gemacht - genau wie vereinzelte enttäuschte Aachener Fans, die vorzeitig das Stadion verließen.
20 Minuten vor dem Ende setzte sich der Neuzugang der Alemannia Emmanuel Krontiris nach Pass von Josef Ivanovic gegen zwei Cölner durch und hämmerte den Ball zum 3:1 in die lange Ecke. "Scheißegal" - so triefte weiterhin die gesammelte Arroganz von der Südkurve. Eine Viertelstunde vor Schluss wurde dann mit der rosa Karte für Thomas Cichon die Aachener Schlussoffensive eingeläutet. Bei einem Aachener Konter ließ Cichon den schnellen Miro Spizak über die Klinge springen. Der wäre etwas weit nach außen gelaufen, während in der Mitte noch ein Abwehrspieler mitgelaufen war, so dass man den Platzverweis nicht unbedingt geben musste. In Überzahl schien nun noch etwas drin zu sein - leider war es damit nach zwei Minuten wieder vorbei, als Markus Kurth plötzlich wie ein Mädchen jammernd zu Boden fiel. Was erst im Fernsehen zu erkennen war: er wurde von Quido Lanzaat in die Hacken getreten. Der sah dafür Rot, und damit schienen alle Hoffnungen begraben zu sein. Die Alemannia steckte aber immer noch nicht auf und verlor auch nicht wie so oft in der Vergangenheit dabei die Übersicht. Statt langer Bälle wurde weiter fleißig kombiniert, bis man in der 83. Minute für den Kampfgeist belohnt wurde. Emmanuel Krontiris holte sich den Ball im Mittelfeld, hatte dabei viel Platz und spielte an der Strafraumgrenze Sturmpartner Ivanovic an. Der drehte sich und legte quer, zurück auf Krontiris. Der ließ Moses Sichone mit einer Körpertäuschung ganz alt aussehen und schloss eiskalt mit links zum 3:2 ab. Im zwischenzeitlich eher ruhigen Gästeblock ging nun noch einmal richtig die Post ab. Die Minuten verstrichen, Dirk Lottner verfehlte mit einem Flachschuss das 4:2 um Zentimeter, und dann geschah das Unfassbare. Karlheinz Pflipsen, der die Hauptkampfbahn mit Gladbach schon oft genug als Sieger verlassen hatte, kurvte wie nichts durch die Cölner Hintermannschaft. Wesentlich mehr konnte man aus dem einen knappen Kilometer entfernten Gästeblock nicht erkennen. Wie man mir mehr als eine Stunde später erzählte, muss Ivica Grlic auf Emmanuel Krontiris abegelegt haben, der am versteinerten Torwart Bade vorbei sein drittes Tor erzielte - 15 Sekunden vor Ende der regulären Spielzeit. Dieses Mal pfiff der Schiedsrichter zeitig ab - zum Glück für die aufs Neue verunsicherten Cölner, die wahrscheinlich nicht lange gebraucht hätten, um sich auch noch das 3:4 zu fangen. Von all dem hat allerdings kaum jemand der mitgereisten Aachener noch etwas mitgekriegt, alles purzelte nur noch durcheinander und lag sich in den Armen. Bei einigen flossen Freudentränen, auch eine Viertelstunde nach Abpfiff war der Block noch gut mit feiernden Aachenern gefüllt.
Der Rest des Abends entschädigte für vieles, was man in den letzten Jahrzehnten als Alemannia-Fan durchmachen musste. Kaum verließ man den Gästeblock, sah man sich einer Kette von Cölner Ordnern gegenüber, hinter der frustrierte Anhänger der Spielvereinigung vorbeiliefen und diverse obszöne Gesten zum besten gaben und das eine oder andere Wurfgeschoss loswerden wollten. Die Ordnerkette endete nach wenigen Metern, und so mischte man sich unter die Cölner, von denen einige auf der Wiese vor dem Stadion ihren Frust auslassen wollten, aber an den Herren in den Gladbacher Vereinsfarben scheiterten. Auf dem S-Bahnsteig warteten - nachdem bereits einige Sonderbahnen für die Aachener abgefahren waren - noch ein paar Dutzend Aachener und mehrere Hundert Cöln-Fans, die etwas ungehalten auf die Ansage reagierten, dass nun ein weiterer Sonderzug nach Ehrenfeld für die Gästefans einfahre - "eine Unverschämtheit, als wir in Aachen gespielt haben, gab es nur zwei Busse für uns" usw., war aus den Reihen der Rot-Weißen zu hören, während sich die wenigen Aachener mit den Worten "Entschuldigung, darf ich mal durch?" in die S-Bahn begaben. Diese fuhr - gefüllt mit ebenso vielen Polizisten wie Fans - mit einiger Verspätung los, nachdem sie noch einige Wurfgeschosse, Tritte und Schläge zu überstehen hatte. Im Zeitlupentempo fuhren wir schließlich am Bahnsteig vorbei, mit bestem Blick auf Hunderte dummer Gesichter und ausgestreckter Mittelfinger - selten so viel Spaß gehabt.
Die Alemannia hat nach dem Unentschieden sieben Punkte Rückstand auf einen Aufstiegsplatz, die vielleicht nur fünf Punkte wären, wenn man in der ersten Hälfte die Chancen verwertet hätte, aber das interessierte nach diesem Wahnsinnsspiel niemanden. Ich kann mich nur an sehr wenige Spiele in den letzten 20 Jahren erinnern, die ähnlich geil gewesen wären. Der Pokalsieg im Elfmeterschießen gegen Bremen, das 4:3 nach 0:3 im Pokal gegen Duisburg, das 2:1 in München Gladbach, das 3:1 in Leverkusen oder das 2:1 gegen Verl kurz vor dem Aufstieg - an dieses Spiel wird man sich noch in Jahren gerne erinnern.



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