Do, 04.11.04:
FC Sevilla - ALEMANNIA 2:0 (1:0)
Esteban - Ramos, Alfaro, Navarro, David - Navas, Martí, Renato, Sales (70. Alves) - Baptista (84. Jordi), Aranda (87. Carlitos)
(Notario - Silva, A. López, Pablo / Caparrós)
Straub - Landgraf (77. Scharping), Klitzpera, Sichone, Blank - Plaßhenrich, Brinkmann, Fiel (77. Iwelumo) - Pinto (70. Bruns), Michalke, Meijer
(Nicht - Stehle, Paulus, Hengen / Hecking)

Zuschauer: 40000 (ca. 450 aus Aachen)
Gelb: Aranda, David - Brinkmann, Landgraf, Sichone

1:0 Aranda (8.)
2:0 Baptista (77.; Foulelfmeter)

























































"Aachen ist die schönste Stadt der Welt" schmetterte man als Alemannia-Fan in letzter Zeit des öfteren voller Inbrunst. Das erste Auswärtsspiel der Gruppenphase in Sevilla sollte einen allerdings diesbezüglich nachdenklich stimmen. Enge Gassen, alte Häuser, leckere Tapas, billiges Bier, schöne Frauen, 20 Grad im November - schnell musste man einsehen, dass Sevilla eine ganz andere Welt war als Reykjavík. Zwischen Kathedrale, Alcazar, Fußball- und Stierkampfarenen, großen Brüsten und prallen Hintern wussten die Augen gar nicht mehr, wohin. Und mittendrin im ganzen unsere Alemannia; schon am Tag vor dem Spiel lief man in der Stadt vielen bekannten und unbekannten Gestalten in schwarz-gelber Kluft über den Weg, die sich "auf ein Schnelles" in den zahlreichen Kneipen der Altstadt trafen. In der Zwischenzeit bildeten die Einheimischen am Stadion lange Schlangen, um Karten für das Spiel gegen die Alemannia zu ergattern. Was für ein Gefühl: 2000 Kilometer von zu Hause, ein riesiges Stadion, Plakate, auf denen "Alemannia Aachen" steht, und die Leute stehen an, als gäbe es Freibier. Am Donnerstag Mittag schließlich nach Landung der Ryan-Air- und Alemannia-Air-Maschinen schien Sevilla endgültig in schwarz-gelber Hand zu sein. Ärger gab es dabei nicht, stattdessen fanden sich zahlreiche Einheimische, die sich als Fans von Betis zu erkennen gaben und uns viel Glück gegen den ungeliebten Lokalrivalen wünschten.
Etwas störend beim ohnehin zu kurzen Aufenthalt in Sevilla war nur die Rennerei wegen der Eintrittskarten. Um 15 Uhr sollte man die bei der Alemannia reservierten Karten in einem Hotel in Stadionnähe abholen können. Dort wartete dann zwar ein hämisch grinsender Zivilpolizist im Anzug (!), der eine Bestandsaufnahme der anwesenden Aachener Fanszene machte, aber ansonsten nur spanisches Hotelpersonal, das einem mitteilte, die Karten gäbe es um 18 Uhr. Nachdem man sich schließlich den halben Tag für die Karten die Füße plattgelaufen hatte, konnte es am Abend ins Stadion gehen.
Jenes Stadion Ramón Sánchez Pizjuán ist zwar nur das drittgrößte der Stadt, zählt aber zweifelsohne zu den spektakulärsten, in denen die Alemannia je gespielt hat. 45500 Zuschauer haben von zwei für Spanien typisch steilen Rängen beste Sicht aufs Spielfeld. Ganz voll wurde es am Ende nicht, aber rund 40000 Besucher bildeten schon eine andere Kulisse als 1514 in Reykjavík. Die 400-500 Aachener wurden von der Polizei größtenteils auf den Oberrang der Haupttribüne begleitet, nahe der Eckfahne des Tores, hinter dem die heimischen Ultras standen. Einige Aachener fanden sich auch im eigentlichen Gästeblock gegenüber ein, der vom FC Sevilla aufgelöst worden war, nachdem die Alemannia nur Karten für die Haupttribüne geordert hatte. Die Atmosphäre entsprach nicht den Erfahrungen, die man mit der eher mauen Stimmung in den meisten spanischen Stadien gemacht hatte. Die Ankunft des heimischen Mannschaftsbusses ließ nichts gutes ahnen (arrogant guckende Typen mit zuviel Gel in den Haaren, denen wie Popstars zugejubelt wird), aber beim Spiel wurde es dann richtig laut, und der Aachener Anhang hatte kaum mal die Chance, sich bemerkbar zu machen.
Auch unsere Mannschaft - ohne Simon Rolfes, aber mit Cristian Fiel angetreten - merkte schnell, womit sie es zu tun hatte. Die Gastgeber legten furios los und erzielten das frühe Tor, das wie eigentlich immer vermieden werden sollte. Aranda brachte eine Flanke von der rechten Seite im zweiten Versuch über die Linie. Nach rund einer Viertelstunde konnte sich unsere Mannschaft aber allmählich befreien und hielt bravourös dagegen. Nach einem ersten Warnschuss von Sergio Pinto war Kai Michalke dem Ausgleich mit einem Distanzschuss ganz nahe, aber der Ball strich Zentimeter am linken Pfosten vorbei. Auf der anderen Seite reagierte Stephan Straub bei einem Kopfball von Julio Baptista prächtig. Der Pausenstand von 1:0 gab durchaus Anlass zur Hoffnung. Sevilla war stark, aber keine Übermannschaft, und irgendein Glückstreffer zum 1:1 sollte doch drin sein.
Die Alemannia hielt das Spiel auch im zweiten Durchgang offen, auch dank Stephan Straub, der bei einem abgefälschten Schuss von Renato wieder einmal stark reagierte. Auch die gegnerischen Fans, deren Prognosen vor dem Spiel noch zwischen 3:0 und 6:1 geschwankt hatten, nahmen die Alemannia nun ernst - erst recht, nachdem im Alemannia-Lager bengalisches Feuer angezündet wurde und mit "Betis"-Rufen provoziert wurde. Es flogen diverse Gegenstände in unseren Block und mehrmals wurde lauthals "Puta Alemannia" oder ähnliches angestimmt - ein erhebendes Gefühl. Die Alemannia tat ihr bestes, um dem Spiel eine Wende zu geben, konnte der starken Defensive der Gastgeber, die im Ligaalltag ganz anderen Offensivkalibern Paroli bieten müssen, aber nie ernsthaft gefährlich werden. So fiel eine Viertelstunde vor dem Ende aus einer der ebenfalls nicht gerade zahlreichen Torchancen der Gastgeber die Entscheidung. Moses Sichone brachte Julio Baptista zu Fall, der den fälligen Strafstoß selber zum 2:0 verwandelte.
Unsere Mannschaft konnte am Ende hoch erhobenen Hauptes das Spielfeld verlassen und ließ sich damit auch mehr Zeit als die Spanier, die schnell und grußlos in der Kabine verschwanden. Auch aus der Heimkurve gab es verdienten Applaus für die tapfer kämpfenden Alemannen. Für einen Verein, der vor acht Jahren noch mit 2:0 bei Germania Teveren verloren hat, ist es sicherlich keine Schande, mit 2:0 beim FC Sevilla zu verlieren. Die Chancen auf die nächste Runde sind zwar, auch durch das 2:1 von Lille gegen St.Petersburg, gesunken, aber noch ist alles drin, und gegen Petersburg wird die Hütte in Cöln brennen.
In Sevilla weiß man jetzt jedenfalls, wer die Alemannia ist. Selbst von den heimischen Bullen wurde man ernstgenommen und erhielt dank Blocksperre die Gelegenheit, die Spieler beim Auslaufen zu feiern und vergeblich nach Eintrittskarten und Programmheften zu suchen. Nach Ende der Blocksperre traf man auf eine unerwartet tote Altstadt, in der man um diese Jahreszeit wohl um Mitternacht die Bürgersteige hochklappt. In der einzig auffindbaren geöffneten Kneipe versuchte einem ein Amerikaner den Sport und das Fansein zu erklären, und die Einheimischen hatten weniger vom UEFA-Cup zu erzählen als von der Veranstaltung am nächsten Tag, an dem ein schwuler Zwerg in Ballettschühchen und enger Hose um ein unschuldiges Tier herumtänzeln und deswegen von den schönen Frauen mit den großen Brüsten vergöttert werden sollte. Damit blieb immerhin das beruhigende Fazit, dass Aachen eben doch die schönste Stadt der Welt ist.



Zurück